Wolfsburger Allgemeine vom 14.09.2023 (Digitalausgabe)
Scharoun Theater: Trennung von Intendant Dirk Lattemann aufgearbeitet Alter und neuer Intendant: Rainer Steinkamp beim Theatercafé. © Quelle: Heinz-Werner Kemmling War Dirk Lattemann nicht der richtige Mann für Wolfsburg? Die Trennung von seinem Intendanten war jetzt Thema in einer neuen Veranstaltungsreihe am Scharoun Theater. Lattemanns künstlerisches Können wurde jedenfalls nicht infrage gestellt. Heinz-Werner Kemmling Der Theaterring Wolfsburg hatte am Mittwoch zur „Premiere“ eines neuen Formats, dem „Theatercafé“, in die Cafeteria des Scharoun Theaters eingeladen. „Hier können zukünftig von den Mitgliedern aktuelle Gesprächsthemen und Informationen diskutiert werden“, wie Vorsitzende Dorothea Frenzel erläuterte. Mit der überraschenden Entlassung des Intendanten Dirk Lattemann im 50. Jubiläumsjahr des Scharoun Theaters war ein aktuelles Thema bereits vorgegeben. Auch nach einem Vierteljahr war das Informationsbedürfnis an Hintergründen besonders groß. Denn außer der Nachricht, man habe sich „einvernehmlich getrennt“, waren keine weiteren Gründe an die Öffentlichkeit durchgesickert. Bezogen Position: Theaterring-Vorsitzende Dorothea Frenzel (l.) und Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Thomas Steg. © Quelle: Heinz-Werner Kemmling Fehlende Präsenz und mangelnde Ansprechbarkeit? Die neue Einrichtung des Theatercafés nahm Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Thomas Steg ausführlich wahr, um spekulativen und polarisierenden Diskussionen unter den Theaterinteressierten mit ausführlicher Sachaufklärung zu entgegnen. Auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum antwortet er selbstkritisch: „Das, was wir heute tun, hätten wir gleich tun sollen.“ Angefangen hat alles mit anonymen Schreiben, die zuerst beim Aufsichtsrat eingegangen sind und dann bei der Stadt. Schon aus Stilgründen habe er die anonymen Schreiben ignoriert. Als dann die Kritiker sich namentlich zu erkennen gaben, fanden erste Gespräche auch mit Lattemann statt. Kritiker sollen ihm fehlende Präsenz und mangelnde Ansprechbarkeit in den Briefen vorgeworfen haben. Auch unter den Mitarbeitern soll es Unzufriedenheit gegeben haben bis hin zu Kündigungsabsichten. Theater wollte nicht am Publikum vorbei spielen Dirk Lattemann sei 2020 von rund 30 Bewerbungen einstimmig vom Aufsichtsrat ausgewählt worden, erläutert Steg. Seine Fähigkeiten habe er in der Pandemiezeit unter Beweis gestellt. Das neue Programm für das Jubiläumsjahr stellt Steg als gelungen dar, zumal es auch neues Publikum anspricht. Dirk Lattemann war im April 2020 als Intendant am Scharoun Theater verpflichtet worden. Im Juni gab der Aufsichtsrat die Trennung von seinem Leiter bekannt. © Quelle: Boris Baschin „Eine Inszenierung kann provozieren. Ein Intendant sollte es nicht“, betont Thomas Steg. Er hebt die Bedeutung der Abonnenten hervor, und dass das Theater nicht „am Publikum vorbei spielen“ könne. Steinkamp kehrte aus dem Ruhestand zurück Es ist nicht die künstlerische Fähigkeit Lattemanns, die zu der Entscheidung geführt hat. Für die Stadt Wolfsburg habe man sich mehr Wertschätzung von ihm gewünscht. Steg äußert immer wieder seinen Respekt vor dem künstlerischen Credo Dirk Lattemanns. Aber es sei immer deutlicher geworden, dass er für Wolfsburg „nicht der richtige Mann am richtigen Ort“ sei. Sein Vorgänger Rainer Steinkamp ist aus dem Ruhestand an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt, bis spätestens zu Ostern 2024 eine neue Intendantin oder ein neuer Intendant feststeht. „Das Programm ist hundert Prozent Lattemann. Rainer Steinkamp muss nichts weiter tun, als dies zu managen“, unterstreicht Steg. Auch die ersten Planungen für die nächste Spielzeit hat er begonnen. Vertraulichkeit zum Schutz des Intendanten vereinbart Abschließend wiesen Dorothea Frenzel und Thomas Steg auf die vereinbarte Vertraulichkeit zum Schutz des Intendanten hin, und baten um Verständnis, nicht alle Details preiszugeben. Ein weiteres Thema war das Eröffnungsstück der Jubiläumssaison „Woyzeck“ mit dem Berliner Ensemble. Der Intendant der Bühne, Oliver Reese, gab zunächst amüsante Einblicke in die Theaterarbeit. Danach hatte der Theaterring noch die Möglichkeit, sich die Hauptprobe des Stücks von Büchner anzusehen. Die von Lattemann initiierte Kooperation mit der Bühne soll fortgesetzt werden. Intendantenrauswurf: Wolfsburgs Scharoun-Theater ringt um Ruhe Aufsichtsratsvorsitzender Thomas Steg bemühte sich, im Scharoun-Theater die Wogen rund um die Trennung von Dirk Lattemann zu glätten. Foto: Helge Landmann / regios24 Aufsichtsrat und Theaterring luden an den Klieversberg zum Theater-Café ein. Es gab etliche Nachfragen und auch Kritik an der Entscheidung. Ein Aufsichtsratsvorsitzender, der die Abläufe rund um die Trennung von Intendant Dirk Lattemann als „persönliches Scheitern“ bezeichnet und auch neue Strukturen für den Aufsichtsrat vorschlägt, etliche – kritische – Nachfragen zum Thema Transparenz und Kommunikation und das erklärte Ziel, alles zum Wohle des Theaters zu tun. Dies stand am Ende der ersten öffentlichen Aussprache, die es im Scharoun-Bau zur Intendantenfrage gab. Für Mittwochabend waren dazu die Mitglieder des Theaterringes eingeladen. Als eines von zwei neuen Formaten (das zweite ist „Talk im Foyer“) wurde das „Theater-Café“ gestartet. Alle Plätze waren besetzt, der Informationsbedarf war groß, als Thomas Steg als Aufsichtsratsvorsitzender und Dorothea Frenzel (Vorsitzende des Theaterringes) etwas Licht ins Dunkel der Spekulationen um die abrupte Trennung von Lattemann im vergangenen Juni bringen wollten. Etwas. Denn „man möchte nicht alles breittreten“, dies könnte auch der ausgeschiedenen Person schaden, wie es etwas nebulös hieß. Oliver Reese (Berliner Ensemble, links) und Dirk Lattemann hatten für ihre beiden Theater eine Partnerschaft vereinbart. Foto: Moritz Haase / Privat Theater, das am Publikum vorbeigehe, funktioniere nicht, stellte Steg zunächst klar. Und das, was an großen Standorten funktioniere, müsse hier längst nicht greifen, so der Aufsichtsratsvorsitzende mit Blick auf die Diskussionen um Strategien und Zielmargen, die es rund um den neuen Intendanten gegeben hatte. Im Rahmen des 50. Bestehens werde es noch zwei besondere (konzertante) Ereignisse geben, ließ er durchblicken. Die Älteren könnten sich sicherlich noch an das Konzert in der Nordhoff-Ära erinnern, als Herbert von Karajan höchstselbst in Wolfsburg den Taktstock in die Hand genommen hatte. Zu Beginn gab es anonyme Hinweise Die Ereignisse um Dirk Lattemann, so Aufsichtsratsvorsitzender Steg, hätten mit anonymen Hinweisen begonnen. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Hinweisgeber sich da schon offen dazu bekannt hätten, dann hätte man früher agieren können“, bedauerte Steg. Mangelnde Präsenz am Standort, sei ein Vorwurf gewesen. „Und man kann ein Theater ja auch nicht von Freiburg aus leiten“, meinte Thomas Steg. Dagegen gab es Protest. Eine Theaterbesucherin erklärte, dass sie den Intendanten oft am Klieversberg angetroffen hätte. Inhaltlich habe Intendant Lattemann das Theater vorangebracht, allein die Zusammenarbeit mit dem Berliner Ensemble werde ausdrücklich begrüßt. Und die jetzt startende Spielzeit sei zu 100 Prozent seine Arbeit, sein Verdienst, betonte Thomas Steg. Es habe aber immer mehr Beschwerden gegeben, auch aus der Belegschaft, dass man kündigen werde, wenn er bliebe. Es sei immer klarer geworden, dass Lattemann „nicht der richtige Mann am richtigen Ort sei“. Für ihn selbst, der mit dem Intendanten „per Du“ gewesen sei, wofür er selbst auch wegen mangelnder Neutralität kritisiert worden sei, sei die ganze Sache sehr bedrückend gewesen. Aber ein Theaterteam verlange auch soziale Integrität und die Fähigkeit, Menschen motivieren zu können. Eigenschaften, die bei Dirk Lattemann wohl gefehlt hätten. Alle Gespräche mit Intendant Lattemann seien gescheitert Alle Versuche, über Gespräche eine Befriedung zu erreichen, seien jedenfalls gescheitert, bilanzierte Steg. Dirk Lattemann habe ihm gesagt, dass er sich nicht anpassen werde. Das Berliner Ensemble wird mit „Woyzeck“ von Georg Büchner zu Gast in Wolfsburg sein. Foto: Birgit Hupfeld / BErliner Ensemble Thomas Steg, zu seinen beruflichen Stationen zählten unter anderem bisher Pressesprecherfunktionen im Niedersächsischen Sozialministerium, beim DGB, die stellvertretende Leitung im Kanzleramt, räumte massive Versäumnisse bei der Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit ein. Die Veranstaltung im Theater-Café hätte früher stattfinden sollen, zudem sollte der Aufsichtsrat eine neue Struktur bekommen. Die Stadt sollte den Vorsitz übernehmen, sie trage auch das finanzielle Risiko des Theaters. Da könne man nur hoffen, erklärte ein Teilnehmer, dass die Stadt auch die Kapazitäten dafür habe. Schließlich fehlten ihr nach eigenem Bekunden schon die Kräfte in vielen (Bau)Bereichen. Stadtbaurat Kai-Uwe Hirschheide ist Mitglied des Aufsichtsrates. Wurde der Bewerber vom Aufsichtsrat nicht sorgfältig ausgesucht? Der Aufsichtsrat müsse doch Intendant Lattemann sorgfältig ausgesucht haben, oder sei dies hier nicht geschehen, war eine andere Frage, die sich um die Arbeit und die Kontrollfunktion des Gremiums drehte. Man sei erschüttert über die Entwicklung, man habe Gänsehaut, hieß es, wenn man von den Geschehnissen höre, die zur Kündigung geführt haben sollen. Aufsichtsratsvorsitzender Steg erklärte, dass er sich bei den ganzen Abläufen „persönlich gescheitert“ sehe. „Ich möchte wirklich allen danken, die das Format dieses Theater-Cafés ermöglicht haben. Ich stehe für den weiteren Dialog zur Verfügung, möchte im Gespräch bleiben.“ Aufsichtsratschef will intensivere Zusammenarbeit mit allen Theaterfreunden Nicht die neun Mitglieder des Aufsichtsrates seien es, die die Lösungen finden könnten, sondern nur alle gemeinsam, denen das Theater nahestehe, unterstrich Steg abschließend. Mit Blick auf die künftige Strategie wolle man, darüber war man sich einig, das Theater weiter öffnen. Es gelte, neue Zielgruppen zu gewinnen. Beispielsweise Jugendliche. Dies könne über Schulprojekte, vielleicht auch technische Führungen durchs Haus, oder durch die Nutzung der großen Wiese zwischen Theater und Planetarium für Open-Air-Veranstaltungen geschehen. Das Theater selbst habe bei Ensembles, Schauspielern, Technikern, die von woanders her kämen, einen ausgezeichneten Ruf. Der müsse gestärkt werden. Auch das Kulturquartier von Planetarium, Kunstmuseum, Theater gewinne dabei an Bedeutung, war man sich auf dem Podium und im Publikum einig.
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